Krank sein will gelernt sein!
Ja, das kann nicht jeder, dafür braucht man Talent oder mindestens Disziplin.
Mir wurde das klar als ich kürzlich von meinem Körper in die Arztpraxis im Nachbarort geschickt wurde. Er – mein Körper – wollte mal ordentlich aufräumen und ich nehme mir im Alltag dafür eher wenig Zeit. Also wollte mein Körper dafür die Autorisierung der Ärztin, damit mein Arbeitgeber mich für diese Aufgabe freistellen würde.
Ok, los geschickt und erledigt. Naja, etwas wackelig auf den Beinen und im Schneckentempo auf der Straße…
Als ich ging trug mir die Ärztin noch aktive Erholung auf. „Spazieren gehen“ sagte sie und in ihrem Blick sah ich dieses Ausrufezeichen.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen – ich geh am liebsten raus in die Natur – jeden Tag Sonne und Wind im Gesicht – und von Zeit zu Zeit auch ein paar Tropfen Regen dazu. Normalerweise ist das gut. Aber jetzt in diesem Fall ging ich mir selbst in die Falle, mir auf den Leim und behinderte wahrscheinlich meine Genesung.
Meine innere Software ist darauf programmiert Ansagen von Außen , also Menschen außer mir, in der To-Do-Liste ganz oben zu schreiben. Da stand ja Gesund werden eh schon ganz oben. Jetzt auch noch Spazieren gehen.
Nur das Spazieren gehen aus der Spalte „Ich will“ in die spalte „Ich muss“ rutschte.
Soweit scheint es noch kein Problem, oder?
Doch.
Irgendwo stand bestimmt auch Entspannen auf der Liste, aber recht verblasst.
Also tat ich mein bestes meinen Tag so zu sortieren, damit ich spazieren gehen konnte.
Aus dem Bett steigen, obwohl noch alles weh tat, ankleiden, Kaffee (damit ich nicht merkte, dass ich noch Schlaf brauchte) etwas essen … und dann endlich raus. Die Sonne tat gut, der Wind, die Luft. Alles wunderbar. Wirklich.
Doch die Zeit vorher hab ich mich angestrengt, war im „Arbeitsmodus“ Abliefern, Funktionieren. Aufgabe erledigt. Das war bestimmt das Gegenteil von dem was mein Körper mit mir vorhatte.
Er wollte aufräumen im Inneren, aussortieren, reparieren. Und ich? Hab es nicht zugelassen, nicht so richtig. Ich hatte ja eine Aufgabe zu erledigen. Jawohl!
Nun, zum Glück hab ich es gemerkt – dass ich auf Autopilot lief. Im Überlebensmodus – nicht im Lebensmodus.
Und dann hab ich es mir direkt gemütlich gemacht mit meinem Kaffee – wenn ich eh schon dabei bin diesen zu trinken, dann eben mit Genuss.
Und da mein Gehirn mit Kaffee eine kleine Aufgabe braucht, stelle ich mir die Frage: Warum ich im Autopilot lief - Überlebensmodus? Was hat es damit auf sich?
Jemand im Außen (alle außer ich) stellt mir eine Aufgabe und ich kann nicht eher ruhen, bis sie erledigt ist – oder abgesagt (was auch als erledigt gilt).
Warum kann ich nicht einfach entspannen und die Aufgabe für später aufheben? Ganz ohne Terminabsprache
Spazieren ist wichtig, aber eben erst nach der Entspannung. Aktivität erst nach der Passivität – naja. Mein Körper ist dann alles andere als passiv. Ein Raum in dem das Leben tobt, kann man schlecht renovieren.
Aber zurück zum warum.
Ich hab also das Programm „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“.
Ha, als ob krank sein Vergnügen wäre!
Spaß bei Seite…Ich sollte mir bei Gelegenheit anschauen, warum ich mich ablenke, wenn es ernst wird…
Meine Eltern hatten es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Kindern – das sind meine Schwester und ich – beizubringen, dass alle gemeinsam etwas beitragen müssen, da mit es rund läuft.
Und zwar in der Reihenfolge erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Dabei war Arbeit das Geldverdienen. Und dann der Haushalt und die Tiere versorgen. Die Schule, dann Haushalt und die Tiere dann Hausaufgaben und dann Spielen.
Für mich war als Kind logisch, dass Erwachsene freiwillig zur Arbeit gehen, es wollen. Daraus folgerte ich, dass alles andere wichtiger ist, als ich es bin. Und Kinder müssen ja in die Schule. So sah es aus für mich.
Wenn ich etwas sollte, dann hatte ich keine Möglichkeit Nein zu sagen.
Wenn ich etwas wollte, war nicht klar, ob ich es bekommen würde. Manchmal ja, manchmal nein.
Meine Strategie, die ich daraus entwickelte war: So schnell wie möglich die Aufgabe zu erledigen, um mich meiner Welt zuwenden zu können.
Je älter ich wurde, umso mehr „außen“ gab es.
Immer war da etwas, waszusätzlich auf meiner To-Do-Liste auftauchte. Es wurde von außen von magischer Hand darauf geschrieben und musste abgearbeitet werden.
Dass ich auch „Nein“ sagen könnte, war mir lange Zeit nicht bewusst. Denn ich hatte gelernt, dass das nur andere dürfen.
All das konnte meine Ärztin nicht wissen. Hätte sie es gewusst, hätte sie mir vielleicht zu Bettruhe geraten.
Diese Software bleibt so lange bis mir bewusst ist, dass sie aussortiert werden darf, nein muss.
Bettruhe setzte ich dann auf Nummer 1 meiner To-Do-Liste. Verordnet von meiner inneren Ärztin.
Heiße Schokolade, ein schönes Buch, eine Kerze und das beste – ohne Druck – ich darf am helllichten Tag im Bett liegen. Ich darf auch bei Sonnenschein im Bett bleiben.
Ich darf auch mitten am Tag die Decke über den Kopf ziehen. Telefon aus, Licht aus.
Solange bis die Lust zu Leben ganz allein in die Füße zurück strömt. Die Lust mich zu bewegen, die Lust auf Sonne oder Regen oder Wind im Gesicht. Ja die Lust aufzustehen. Denn die Lust kommt dann wenn mein Körper das ok gibt für Bewegung. Dann wenn das Aussortieren so weit abgeschlossen ist, das Wegschmeißen an der Reihe ist. Dann darf alles in die Bewegung kommen, Kreislauf hochfahren und loslassen, was nicht mehr gebraucht wird. Danach – Staub setzen lassen und Sichten wie weit die Aktion schon erfolgreich war. Vielleicht brauchte es noch eine Runde Schlaf und Nichts-Tun für mich und Reparieren für meinen Körper so lange bis ich wieder hergestellt bin.
Und während mein Körper so fleißig ist, arbeite ich an der Software - damit es leichter wird und ich mir nicht mehr im Weg stehe, wenn mein Körper aufräumen und reparieren will.
Am besten ich installiere ein Programm das sicher stellt, dass weniger repariert werden muss. Ein Programm mit mehr Achtsamkeit und Pausen – Pausen für kleine Schönheitsreparaturen und Genuss. Pausen dafür anzuschauen, ob die Richtung stimmt – und vor allem ein Alltagsprogramm, das nur im Notfall auf Autopilot schaltet, auf „Überleben“ - ein Alltagsprogramm, das „Leben“ heißt anstatt „Überleben“.